We are the Wunderwuzzis

Pressemitteilung der IG Freie Theaterarbeit, 10. November 2014

Alles neu in der Freien Szene Wiens

Den freudigen Schock müssen wir erst mal überwinden! 2015 fünf Millionen mehr, 2016 vier Millionen mehr und ab 2017 immerhin noch drei Millionen Euro mehr für die Freie Szene in Wien! Keine Verhandlungen im Vorfeld – nicht notwendig – Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und Kultursprecher der Grünen Klaus Werner-Lobo wissen um die dringend notwendige finanzielle Absicherung der frei arbeitenden Künstler_innen und setzen endlich erste grundlegende Schritte. Endlich Verteilungsgerechtigkeit – endlich professionelle Bezahlung für professionelle Arbeit, für alle im Sektor.

Die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) erhalten im Gegenzug als Kompensation bzw. für zu setzende Innovationen 1,5 Mio. Euro aus einem neuen Topf.

Es ist möglich. – Endlich findet umfassend eine professionelle Absicherung der prekär Arbeitenden, aber politisch kaum als Arbeitsplatz-Inhaber_innen wahrgenommenen, freien Künstler_innen statt. Das lässt in der Vorweihnachts- (und Vorwahl-) Zeit wieder an das Gute in der Politik glauben.

Wir sind die Wunderwuzzis des Kulturbereichs! Mit bislang 20 % der Mittel haben freie Produktionen eine Reichweite von 46 %. Weit mehr als Musicals und Opern zusammengerechnet. Jetzt wird dieser Tatsache Rechnung getragen und die ca. 1.500 professionellen freien Künstler_innen arbeiten endlich auch zu professionelleren Bedingungen!!!


Aufwachen aus dem Tagtraum

Erstmal aufwachen und sich dennoch freuen!?!
Die VBW erhalten 5 Millionen + 4 Millionen + 3 Millionen Euro zusätzlich in den kommenden drei Jahren, im Gegenzug erhält die freie Szene ein neues Instrument für genre-(spartenübergreifende?) Projekte: 1,5 Millionen pro Jahr – ein neuer Topf, eine neue Jury – auf ein gutes Neues …
Gut, insofern es um ein neues Instrument und neue Mittel geht, gut im Sinne der Diversität und Entwicklung neuer genre- und spartenübergreifender Projekte.
ABER: Damit klafft ein weiteres Mal auf der Makroebene die Schere zwischen den großen Institutionen und der Freien Szene auf, anstatt sich zu verkleinern.
Und: Mit dem neuen Topf sind einmal mehr keine grundlegenden Strukturänderungen verbunden. In der Freien Szene arbeiten immer mehr Menschen, an immer mehr Orten, zu immer prekäreren Bedingungen.
Sozial – und arbeitsrechtliche Normen wie Mindeststandards können vielfach nicht eingehalten werden.

Schief hängt so die Botschaft: Alles neu bei den Vereinigten Bühnen Wien – finanzielle Absicherung auf höchstem Niveau, Sicherung von 150 Arbeitsplätzen, kein Theater muss geschlossen werden.

Weiter erhält das Ronacher auch künftig eine Jahressubvention von 18 Millionen Euro, beinahe der Betrag für die gesamte Freie Szene mit über 20 Häusern, 50 – 80 jährlichen Projekten, Ein-, Zwei- und Vierjahresförderungen –
für ein Programm, wir werden nicht müde es zu sagen

– das nirgendwo in Europa mit öffentlichen Mitteln subventioniert wird

– das sich einfach im besten Sinn von Entertainment budgetär selbst tragen sollte

– respektive gegebenenfalls der Wirtschaft eine Tourismus-Förderung wert sein sollte.

– Doch die berühmt/berüchtigte Umwegrentabilität war bislang dann doch so gering, dass die entsprechenden Studien lieber in der Schublade gehalten wurden.

Was tun?

Warum stellt sich die Stadt nicht dem arbeits- und sozialrechtlichen Problem der Freien Szene?
Warum das Geld nicht strukturverändernd in die Projektförderung fließen lassen, in der ohnehin innovative Projekte verankert sind?

Oder freuen wir uns jetzt und wachen endgültig in einer Welt der neoliberalen Diffusion auf mit dem realen Aha-Effekt, dass die Produktionsbedingungen der freien Künstler_innen hier letztlich weiter untergraben werden.

Wir freuen uns über das Stück vom Kuchen, doch dieser Kuchen hätte der Freien Szene gebührt:
Als wirkliche Wunderwuzzis, die aus goldenen Nixchen und ein bisschen mehr immer wieder Großes zaubern.

Die Aufrechterhaltung der bisherigen Struktur der VBW und zusätzliche Förderung mit 12 Millionen Euro in den kommenden drei Jahren mit kosmetisch-optischen Änderungen (Generalwunderwuzzi …) im selben Atemzug mit einem zusätzlichen Topf für freie Produzent_innen zu nennen, hat den Hautgout des Diebes, der den Hund füttert, damit er nicht beißt, um vom geplanten Einbruch abzulenken.
Perfide daran ist, dass man im öffentlich finanzierten Unterhaltungsgewerbe die betriebsbedingten Kostensteigerungen selbstverständlich auffängt, dies den übrigen Theaterbetrieben und erst recht der Freien Szene verweigert.

Wir brauchen Lösungen, um professionelles Arbeiten in der freien Szene sicher zu stellen und keine Befriedungs-Zuckerln.

Vorstand der IG Freie Theaterarbeit
Wien, 10. November 2014

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