Zeitgenössische künstlerische Produktion im budgetären OUT

Pressemitteilung IG Freie Theaterarbeit, 5. Juli 2012

KSVF

Vor drei Jahren begann ein hoffnungsvoller Prozess interministerieller Arbeitsgruppen rund um Kunst und Kultur. Ministerin Schmied erkannte in den dramatischen Ergebnissen der vom bm:ukk beauftragten Studie zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler in Österreich 2008 einen dringlichen Handlungsbedarf. Drei Jahre später ist das signifikanteste kulturpolitische Ergebnis zur sozialen Lage von Künstler_innen der Überraschungscoup der Wirtschaftskammer: Im Austausch gegen den Fall der Pensionsklausel sollen die Rücklagen des Künstler_innen*Sozialversicherungsfonds (KSVF) in den kommenden fünf Jahren um die Hälfte reduziert werden – ein Kuhhandel und Eklat, dem das Parlament heute trotz Protesten und Aktionen von Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen mit den Stimmen der Regierungsparteien zustimmte.

3 Jahre IMAG Prozess: Halbierte Mittel der Künstler_innen im KSVF – ist das ein produktives Kunstverständnis?

Kulturbericht

Der gerade veröffentlichte Kulturbericht des Bundes über das Jahr 2011 offenbart, was Thomas Trenkler schon im Standard beschreibt – die Schere zwischen großen Institutionen und den Kleinen, Freien wächst, anstatt – wie laut Ansagen der Politik gewünscht, kleiner zu werden. Drei Jahre wurde im IMAG-Prozess auch über die Fördersituation gesprochen. Eine Reflexion der Schieflage und die Perspektive einer Bereitschaft zu einem grundsätzlichen Umdenken im Fördergebaren fehlte jedoch völlig. Faktisch hat sich das Budget wieder weiter verschoben in Richtung der Bedienung großer Traditionsstrukturen: Im Sektor der darstellenden Kunst wurden 2011 die Bundestheater mit 145,94 Millionen Euro gefördert (2006 waren es noch 134,4 Mio. Euro) vom restlichen Budget in der Förderrubrik Darstellende Kunst (17, 54 Millionen Euro) erhalten allein die drei „als Privattheater geführten traditionsreichen Einrichtungen“ Theater in der Josefstadt, Volkstheater und Theater der Jugend zusammen über 12 Millionen Euro (im Jahr 2006 erhielten noch 9 größere Häuser gemeinsam 12,27 Mio. Euro). In der Förderrubrik Festspiele zeigt sich ein identes Fördergefälle von Groß- zu Kleininstitutionen: die Salzburger und Bregenzer Festspiele erhalten 7,5 der insgesamt 10 Millionen Euro an finanziellen Zuwendungen – und wie den Medien zu entnehmen ist, will Intendant Pereira aktuell eine weitere Erhöhung seiner Mittel ertrotzen. Auf der Folie dieses Realbudgets liest sich das Bekenntnis „In der Kunstsektion wurde 2011 erneut der Fokus auf die Förderung des zeitgenössischen Kunstschaffens und der Mobilität von Künstlerinnen und Künstlern gelegt“ wie ein Hohn.

Paradigmatisch für eine Initiative zum Neuen werden weitere fünf Häuser in verschiedenen Landesteilen genannt – Häuser verschiedener künstlerischer Ausrichtung in denen Künstler_innen bereits zu more or less prekären Bedingungen arbeiten – der Rest sind budgetäre Peanuts. Aber genau hier beginnt das Eigentliche, der gesellschaftspolitisch entscheidende Part des Sektors, findet die innovative , die freie Kunst, die Entwicklung des Theatersektors statt – gefördert mit nicht einmal einem Prozent des Budgets (wenn die Bundestheater mitgerechnet werden).

Im gesamten freien Sektor der Darstellenden Kunst herrscht weiterhin Grauzone, Rechtsunsicherheit und wachsende Prekarität – kaum jemand kann angesichts der Förderlage Anstellungen ermöglichen. Eine Studie oder allein Schätzung darüber, was – nach der Novelle des Theaterarbeitsgesetzes (TAG) – notwendige Anstellungen im Theaterbereich kosten würden, wurde nicht angestellt.

3 Jahre IMAG-Prozess: Die Schere klafft signifikant weiter auf zwischen großen Traditionsein-richtungen und freier innovativer Kunst, eine Rechtssicherheit im Theatersektor wurde nicht erreicht und die Arbeitsverhältnisse im freien Sektor sind seit der Erhebung 2008 von wachsender Prekarität gekennzeichnet. Ist darin ein Fokus zur Verbesserung der sozialen Lage der Künstler_innen zu erkennen?

Mobilität

Im Bereich Mobilität werden auch im Kulturbericht 2011 Touringmittel innerhalb Österreichs gar nicht aufgelistet – international gab das bm:ukk 203.000 Euro für Mobilität in den Sektoren Theater und Musik aus – ein Tropfen auf einem heißen Stein notwendiger Internationalisierung und das Verspielen von Nachhaltigkeit der eingesetzten Projektmittel, die auch den Mitteleinsatz der Bundesländer stark mit betreffen. Politisch dramatischer als dieses budgetäre Gebaren ist jedoch der andere Aspekt von Mobilität: Statt einer Ermöglichung der Mobilität von Künstler_innen – die gemäß der von Österreich ratifizierten und gerade zum Fünf-Jahres-Jubiläum der UNESCO Konvention zur kulturellen Vielfalt garantiert wird, soll im Paket des Parlaments schnell vor dem Sommer noch eine weitere Verschärfung des Fremden- und Aufenthaltsrechts beschlossen werden – künftig sollen Asylsuchende und Nicht-Staatsbürger_innen über weite Verfahrensstrecken ohne Rechtsvertretung und teilweise sogar ohne Rechtsberatung auskommen müssen, die Konsequenzen der geplanten bundesweiten einheitlichen Behörde sind noch nicht abzusehen. Karl Regensburger (ImPulsTanz Festival) formuliert in der aktuellen Ausgabe der gift – zeitschrift für freies theater: „Ich würde mir wünschen, dass all diejenigen Politiker_innen und Entscheidungsträger_innen, die diese Politik maßgeblich bestimmen, sich einmal der von Weltoffenheit und interkulturellen Selbstverständlichkeit geprägten Atmosphäre von ImPulsTanz aussetzen“.

3 Jahre IMAG-Prozess: Keine signifikanten Mittel für Mobilität. Restriktive Gesetzgebung und aktuelle weitere Gesetzesverschärfungen konterkarieren die Ziele der UNESCO Konvention. Eine geplante Broschüre zum besseren praktischen Umgang im Bereich Mobilität ist mit einem Jahr Verzögerung noch immer in Arbeit – die aktuelle Verschlechterung der Gesetzeslage überholt die kleinteilige Verbesserung, die eine Broschüre bringt, bei weitem.

Frauen

Der Kulturbericht weist Genderparameter aus, das ist ausgezeichnet!

Dabei wird deutlich, dass sehr wohl viele Frauen im Bereich der Darstellenden Kunst gefördert werden und im Bereich des Freien Theaters auch eine signifikante Zahl von Frauen in Leitungspositionen von Theatern und Freien Gruppen auszumachen ist – zu welchen Konditionen sie arbeiten und wie viele angesichts der schlechten finanziellen Konditionen im Sektor aufgeben, wird nicht ermittelt. Dafür gibt es einen signifikanten Marker im Hochkulturbereich: Dort nämlich ist das Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen 5:1 (Männer:Frauen) – die gläserne Decke bleibt also nicht nur hinsichtlich der Integration freier darstellender Kunst, sondern auch in Bezug auf Genderparameter in den großen Institutionen erschreckend dicht.

3 Jahre IMAG-Prozess: Das Ministerium hat sich um die Erfassung von Genderparametern in seiner Erhebung wirkungsvoll bemüht. Es gibt Einstiegsmaßnahmen wie Start-Up Stipendien und ein Mentoring-Projekt in kleinem Rahmen. Trotz einer signifikanten Zahl von Frauen in Führungspositionen im Freien Theaterbereich – bleibt die gläserne Decke zur Spitze großer Institutionen beinahe undurchdringlich. Der Theatersektor ist hier eine der konservativsten Wirtschaftsbranchen.

Schnittstelle Kunst – Schule

Im vielbeachteten Projekt im darstellenden Sektor macht|schule|theater versuchen Künstler_innen, Lehrer_innen und Schüler_innen in budgetär begrenztem Rahmen Grenzen zwischen Bildungseinrichtung und Kunst aufzubrechen, künstlerische Erfahrung zu ermöglichen, restriktionsfreie Räume für offenen Dialog zu schaffen – und was macht die Regierung: sie beschließt eine Verdoppelung der Strafen für Schulschwänzer_innen und die Österreichische Bildungspolitik offenbart damit nicht nur konzeptionelle Hilflosigkeit, sondern über die konkrete Maßnahme hinaus paradigmatisch ihren grundlegenden autoritären Charakter – auch des zugrundeliegenden Geistes.

3 Jahre macht|schule|theater: Und die Bildungsentscheider_innen haben nichts über offene Prozesse, sozialen und psychischen Druck von Schüler_innen gelernt. Der autoritäre Charakter des Bildungssystems wird symbolisch offenbart.

Vom Fiskalpaket, den Auswirkungen der Krise auf Kunst und Kultur reden wir heute (noch) nicht.

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(*) Offiziell gibt es noch immer keinen geschlechtergerechten Sprachgebrauch im Titel des Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes (KSVFG).

Rückfragen:
Sabine Kock
IG Freie Theaterarbeit
01/403 87 94
0699/11 30 15 31
s.kock@freietheater.at

www.freietheater.at

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