The Joke was on us – Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft e.V. in Wien

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Pressemitteilung

22. April 2024




Die Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft e.V. in Wien
thematisiert Humor und Klasse am Theater trifft den Nerv und vernetzt über 250 Theaterschaffende aus Österreich und Deutschland „Berührt, nachdenklich, bereichert, ermächtigt, dankbar“ – so lauten Rückmeldungen von Teilnehmenden der diesjährigen Tagung der Dramaturgischen Gesellschaft e.V.. in Wien. Sie zeigen, dass die Tagung in Form und Themenwahl einen Nerv traf. “Was gibt´s denn da zu lachen? Humor und Klasse am Theater” lautete die Überschrift, unter der sich von Donnerstag, 18. bis Sonntag, 21. April mehr als 250 Teilnehmende in den Spielstätten des gastgebenden Theater am Werk

versammelten.
Zum ersten Mal seit neun Jahren fand die Tagung des deutschen Vereins in Österreich statt. Fast die Hälfte der über 70 Referent*innen und Beitragenden kamen diesmal aus Wien bzw. ganz Österreich und machten die Konferenz damit zu einem lebendigen Begegnungsort deutscher und österreichischer Theatermacher*innen. Das Programm ermöglichte eine „ganzkörperliche Erfahrung“, wie die Vorstandsvorsitzende der DG, Esther Holland-Merten, auf der Mitgliederversammlung resümierte: „Wir haben gemeinsam gelacht, geweint, uns neu kennengelernt, Empathie geübt – insbesondere auch Generationen übergreifend.“ So wurden mit dem Format „Alte Hasis treffen Frischlinge“ erfahrene Tagungsteilnehmer*innen mit Erstbesucher*innen zusammengebracht und ein Podiumsgespräch thematisierte das “Alter(n) in den Darstellenden Künsten”. 
 
So viel Netzwerken und Kennenlernen war noch nie
Auf Einladung des Verbands Deutscher Bühnen- und Medienverlage fanden vier Autor*innen- und Komponist*innenbegegnungen statt, sowie der traditionelle Empfang, zu Gast Volkstheater Wien, auf dem Verleger*innen, Dramaturg*innen und Autor*innen Gelegenheit zum Austausch und zum Kennenlernen fanden.
 

Viele Vertreter*innen aus Verbänden und Institutionen kuratierten eigene Veranstaltungen oder waren anderweitig auf Panels vertreten, z. B. Deutscher Bühnenverein, dramaturgie-netzwerk, NEKUDAK-Netzwerk Kulturvermittlung in den Darstellenden Künsten, Kulturstiftung des Bundes, Netzwerk Regie, VTheA-Verband der Theaterautor:innen, vermittlungs-netzwerk, Wiener Wortstaetten sowie MUK-Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien. Das abendliche Theaterprogramm mit über 30 Aufführungen wurde aus den

Spielplänen der PAKT-Plattform der Häuser darstellender Künste Wien zusammengestellt.
Unterstützt wurde die Tagung vom Vienna Meeting Fund, dem Bürgermeister der Stadt Wien Dr. Michael Ludwig, der amtierenden Stadträtin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Wien, Veronica Kaup-Hasler, dem Botschafter Vito Cecere und der Kulturreferentin Gertrud Aichem-Degreif von der Deutschen Botschaft in Wien und dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten.

“kicking up, not punching down

Im Impulsvortrag von Schriftstellerin Katja Lange-Müller am Freitag Vormittag schlug sie den Bogen zwischen den zwei Themen der Tagung:
„Komik rettet, Komik kann Finsterbacken aufhalten, womöglich sogar entwaffnen – Humor, Komik, Ironie, Satire, Parodie, Sarkasmus sind Strategien der Notwehr! – und die kommen aus den Abgründen des Plebejischen. Plebejer, Plebs, Pöbel, so nannte und nennt man die Klasse der Besitzlosen (und) es gibt sie, die Besitzlosen, noch immer … Sicher ist Komik das Ventil der Ohnmächtigen, trotzdem nicht Bewusstlosen oder gar Bewusstseinslosen … ein Überlebensmittel für Menschen, die unter Diktatoren leiden oder unter sonstigen desolaten und quälenden Verhältnissen; die wollen wenigstens einen Teil ihrer Tränen nicht weinen, sondern lachen.“ Den furiosen Auftakt der Tagung gestalteten am Donnerstagabend die Comedians des PCCC* (Political Correct Comedy Club), einer Wiener Szene-Institution, mit Host Denice Bourbon und den Gästinnen Toxische Pommes, EsRap und Malarina, deren Motto schon eine erste These für den Humor auf der Bühne aufstellte: „Kicking up, not punching down!“

Zwei Podiumsgespräche am Freitag und Samstag widmeten sich jeweils den zwei Themenblöcken:

Über den „Humor“ diskutierten İdil Baydar, Ayşe Güvendiren, Stefanie Sourial
und Yosi Wanunu, moderiert von Tobias Herzberg, und vertraten u.a. die Thesen, dass Humor ein Werkzeug und Mittel der kritischen Distanz (Sourial) ebenso sei, wie ein Weg, miteinander in Beziehung zu treten (Baydar). In dieser Welt, so Yosi Wanunu, sei die Komödie das „realistischste Genre, das es gibt“, denn „fast and funny“ könnten auch die Wahrheiten gesagt werden, die schmerzen oder aufrütteln. Aber auch wenn „ein Witz immer jemanden findet, der lacht“, gelte es, sich der eigenen Positionierung bewusst zu sein und die Verletzlichkeiten anderer nicht außer Acht zu lassen, formulierte Ayse Güvendiren. Und İdil Baydar ergänzte, dass Asymmetrie entstehe, wenn das “Empowern durch Komik” auf dem Rücken anderer geschehe. Humor sei als ein Mittel der Selbstermächtigung einzusetzen, war die Hauptthese des Podiums, vor allem im Lachen über sich selbst: „In meiner Figur konnte ich auch Täterin sein, die ihre Opferisierung ablegt“, sagte İdil Baydar und „the moment you make fun of yourself, you take power“, brachte es Yosi Wanunu auf den Punkt. Auf dem Podium zum Thema „Klasse“ am Samstag stellte Barbara Blaha, Leiterin des Wiener Momentum Instituts, in ihrem Anfangsimpuls klar, dass Klassenunterschiede sich vor allem durch die eklatanten Unterschiede der Vermögensverhältnisse etablieren, d.h. durch die Kluft zwischen den 1 %, die 50% des Vermögens, und den 99 %, die die andere Hälfte des Vermögens besitzen. Der Aufstiegsmythos „Jede*r kann es schaffen“ sowie die Einteilung in

Gesellschaftsschichten und Milieus verschleiern laut Blaha die eigentliche Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung, die sich ohne die Überwindung des Kapitalismus nicht ausgleichen lasse – und dies schiebt die Schuld in die Schuhe Einzelner, die sich nicht genug angestrengt hätten.
Im folgenden Gespräch mit Blaha sowie Betina Aumair, Verena Brakonier und Ewe Benbenek wurden Themen wie Scham und Sprachlosigkeit der von Klassismus Betroffenen (Aumair und Benbenek), und die Verstärkung der Ungleichheit durch das Bildungssystem thematisiert. Auch die schmerzhafte Erkenntnis, dass die Klassenzuordnung bereits bei der Geburt erfolgt („Augen auf bei der Elternwahl“) sowie, dass der „Klassenabstieg“ häufig eine Folge von Migration ist, wurden benannt. Die „Klassenreise“ (Aumair), die Einzelne trotz der systemischen Ungleichheit machen, führe jedoch nicht automatisch zu einem Gefühl der Zugehörigkeit oder Sicherheit. Stattdessen fühlten sich „Aufsteiger*innen“ häufig verloren und auch, als hätten sie „die eigenen Leute verraten“. An den Reaktionen des Publikums im Anschluss an die Diskussion ließ sich ablesen, wie bewegend das Thema für die Anwesenden war und wie relevant der Diskurs.

Weitere Tagungsbeiträge von u.a. Aslı Kışlal, Ivana Pilić, Gin Müller, Jean Peters, Otmar Wagner, Frans Poelstra, Nadja Brachvogel, Stefan Bläske, Anna Leon, glanz&krawall, Ulrike Syha, David Gieselmann, Claudia Tondl, Felicia Zeller, Walter Bart, Henrike Commichau, Lizzy Timmers, Anna Gschnitzer, Valerie Voigt, Moritz Eggert, lynn t musiol, Michael Niavarani und Maria Happel, Daniel Cremer, Vanessa Stern, Claudia Schmitz fügten den Tagungsthemen weitere Aspekte hinzu: Diversitätsentwicklung an deutschsprachigen Theatern, Inklusion und kollektive Arbeitsweisen, Autor*innenförderung, E & U-Debatte.

Auf einer „Komödienbörse“ wurden Stücke getauscht, Programme zur Verbesserung der Ansprache des Publikums wurden vorgestellt, Tanz- und Zirkusansätze wurden präsentiert und die Vermittlungsarbeit hinsichtlich des Themas „Klasse“ auf den Prüfstand gestellt.

Auf dem Empfang der Verleger*innen wurde die diesjährige Preisträgerin des Kleist-Förderpreises, Sarah Calörtscher, vorgestellt, deren Gewinnerstück „Herz aus Polyester“ auch in einer Szenischen Lesung auf der Tagung präsentiert wurde.


Einen fulminanten performativen Schlusspunkt setzte die Performerin, Tänzerin, Rapperin, Kultur- und Sozialanthropologin und Pädagogin Myassa Kraitt am Sonntagmorgen in der Spielstätte Petersplatz des Theaters am Werk: Als „KDM – Königin der Macht“ brachte sie in ihrer gerappten Lecture die Themen der Konferenz akzentuiert auf den Punkt: verborgene Mechanismen von Macht und Unterdrückung erkennen, einen Aufruf zur „Illoyalität den Ismen“ gegenüber, Empowerment ohne Misogynie und Humorverlust – die „Paedagogy of a Bitch“ zum Zeitpunkt des Kirchgangs war die Predigt, mit der die Teilnehmenden nach Hause fuhren. 

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