Pressemitteilung IG Freie Theater 27.4.2020
Die Auswirkungen der Covid-19-Eindämmung haben die freie Szene und die IG Freie Theater vor besondere Herausforderungen gestellt. Unser Beratungsaufwand hat sich mehr als verdoppelt, ein Zeichen, vor welchen Herausforderungen die Künstler*innen derzeit stehen. Wir resümieren unsere Erfahrungen der letzten Wochen und machen konkrete Vorschläge. Wir sehen, dass gerade für die Freie Szene und die dort beschäftigten Künstler*innen und Akteur*innen neue Modelle gedacht werden sowie konkrete Investitionen vorgesehen werden müssen.
Ulrike Kuner, Geschäftsführung IG Freie Theater:
„Die aktuelle Krise zeigt deutlich auf, an welchen Stellen die Freie Szene schwach ist: An der sozialen Absicherung, bei den Vertragsformen, an den Abhängigkeiten von Projektförderungen und Ticketeinnahmen. Stark ist sie in ihren künstlerischen Ausdrucksformen, ihrer Flexibilität und ihrer Unabhängigkeit von Veranstaltungsorten und Mauern. Die Freie Szene wird als erste bereit sein, wieder Kunst mit und für die Öffentlichkeit zu machen – unter den gegebenen Sicherheitsmaßnahmen. Die Aufgaben für die kommende Zeit werden sein, die Fragen der sozialen Absicherung zu klären und die Freie Szene krisenfester zu machen“.
- Hilfefonds für Künstler*innen-Vereine
Dringend erwartet wird der Hilfefonds für die Vereine der Künstler*innen (gemeinnützige Vereine), ohne die größtenteils keine Förderung beantragt und abgewickelt werden kann. Derzeit fallen v.a. Einnahmen aus Koproduktionen, Tourgagen und Ticketeinnahmen weg und gefährden somit massiv die Verpflichtungen der Vereine: Künstlerische Projekte zu realisieren, Künstler*innen und Mitarbeiter*innen zu bezahlen, laufende Fixkosten zu decken.
Ein Grundeinkommen für Künstler*innen und Kulturschaffende würde – nicht nur derzeit – den Druck der Zugangsverfahren, der mehrfachen Antragstellung mit Prüfverfahren sowie den Unsicherheiten aufgrund der genreüblichen Mehrfachbeschäftigungen bedeutend mindern. - Realistische Arbeits-, Proben- und Trainingssituationen ermöglichen
Wie für alle anderen Arbeitnehmer*innen in Österreich müssen auch für die Künstler*innen realistische Arbeitsbedingungen möglich sein. Daher sind die für den 18.Mai angekündigten 20 m2 pro Mensch schlicht nicht machbar. Die geltende Abstandsregel bietet dagegen große Möglichkeiten, v.a. da die Produktionen im freien Bereich oft von künstlerischen Teams (Darsteller*innen / Regie oder Choreografie / Assistenzen / etc.) mit nicht mehr als 5 -10 Leuten umgesetzt werden, manchmal auch weniger. Und: Eines der Ergebnisse der Umfrage der IGFT unter freischaffenden Künstler*innen von April 2020 war, dass rund 70% der Teilnehmer*innen ihr Alter zwischen 18 und 45 angaben. Dies zeigt auch, dass die Freie Szene über alle Generationen hinweg aktiv ist.
Mit einer realistischen Probensituation wird es möglich, aufrechte Förderverträge zu erfüllen und künstlerische Produktionen zu entwickeln. Den geltenden Sicherheitsbestimmungen entsprechend sind die Künstler*innen kreativ genug, Produktionen zu entwickeln, die z.B. Outdoor stattfinden oder in andere mögliche Formate münden – aber sie müssen hierzu ihrer Arbeit nachkommen dürfen.Verschiebungen der (oft vertraglich bereits fixierten) Produktionen bedeuten Mehrkosten, die aus den laufenden Förderverträgen heraus nicht gedeckt sind und einen immensen organisatorischen Mehraufwand bedeuten. Daher muss so bald wie möglich eine lebbare Arbeitssituation ermöglicht werden.
- Maßnahmen und Kampagnen zur Rückgewinnung des Vertrauens in den Kunst- und Kulturbetrieb
Gerade jetzt ist es wichtig, bei den Künstler*innen Vertrauen zu schaffen. Ihnen zu vermitteln, dass an ihre Arbeit geglaubt wird und alles getan wird, auch ihnen – wie allen anderen Arbeitnehmer*innen in Österreich – ihre Arbeitsplätze und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten.
Gleichzeitig muss darüber nachgedacht werden, wie das Publikum wieder Vertrauen in die Veranstaltungsorte finden kann. Hierzu ist Geld und sind kluge Kampagnen notwendig, die es bereits jetzt vorzubereiten gilt.Die Zuschauer*innen haben aber nicht das Vertrauen in die Künstler*innen verloren. Daher ist es nun an der Zeit, Maßnahmen zu etablieren, die den Künstler*innen spätestens nach dem 30.6. wieder erlauben, künstlerisch mit Publikum tätig zu werden. Gerade die Freie Szene arbeitet sehr oft unabhängig von Häusern und Veranstaltungsräumen und ist kreativ genug, Projekte zu finden, die Menschen anspricht, bewegt, mitnimmt; aber nicht gefährdet. Ihnen dies mit klugen Sicherheitsmaßnahmen zu ermöglichen ist ein wesentlicher Schritt der Vertrauensbildung, welcher wesentlich dazu beitragen wird, ein Publikum nicht zu entfremden und neugierig auf Kunst zu bleiben.
- Mobilität ermöglichen
Gerade die freie Performanceszene arbeitet international, lebt vom Austausch und den Erfahrungen der Perfomer*innen. Auch hier braucht es bald Lösungen, wie eine professionelle Arbeitssituation wiederhergestellt werden kann und wie es möglich wird, dass die Künstler*innen wieder reisen können. - Technische und rechtliche Lösungen für Veranstaltungsorte planen
In der derzeitigen Diskussion tauchen immer wieder technische Lösungen zur Eindämmung der Covid 19-Ausbreitung auf. Dies sind u. a. entsprechende Klimaanlagen und Lüftungswege, Adaptierungen von Publikumsorten, UV-Lichtanlagen etc.Um zukünftig einen Probe- und Spielbetrieb auch für die Orte der Freien Szene zu ermöglichen und um das Vertrauen der Zuschauer*innen wieder aufzubauen, braucht es finanzielle, rechtliche und organisatorische Hilfestellungen, um die größtmögliche gesundheitliche und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.
Die Frage der Veranstalterhaftung wird in den nächsten Monaten zu diskutieren sein, welche unmittelbar Auswirkungen auf die Versicherungssituation haben wird.Die bereits avisierten Auflagen für Veranstaltungen und Beschränkungen btr. bestimmter Personengruppen müssen für die Orte und Veranstalter*innen der Freien Szene handhabbar gestaltet werden.
- Reform der Vertragsformen, Abhängigkeiten und Kommunikationsmodelle
Es zeigt sich, dass die Rechte der Künstler*innen (v. a. was die Fortzahlung ihrer Honorare und Gagen betrifft) nicht ausreichend geregelt sind. Und es zeigt sich auch, dass die realen – sehr verschiedenen – Beschäftigungsformen oft nicht in adäquaten Vertragsformen festgehalten sind. Die Abhängigkeit der Künstler*innen von den Theatern und Häusern und die derzeitige Auseinandersetzung um die Auszahlung der vereinbarten Honorare, Gagen und Koproduktionsgelder macht deutlich, dass es klare Regelungen geben muss, wie die Subventionen der öffentlichen Hand für die Theater und Häuser im Krisenfall eingesetzt werden, um bei den Künstler*innen anzukommen. Damit diese nicht – wie derzeit geschieht – von einem Tag auf den anderen ihre erwarteten Einnahmen nicht erhalten und auf Kulanzregelungen und Leistungen auf Hilfefonds verwiesen werden.Damit verknüpft ist auch eine Aufforderung an die Fördergeber*innen, von den Theatern, Häusern und Organisationen, die mit Geldern der öffentlichen Hand subventioniert werden, transparente, solidarische und faire Kommunikationsmodelle mit allen Künstler*innen und Mitarbeiter*innen zu etablieren.
- Adaptierung der Fördermodelle
In weiterer Folge wird auch klar, dass die Modelle der öffentlichen Hand, die eine direkte Künstler*innenförderung bewirken, neu gedacht werden müssen. Die Förderung soll krisenfester werden, d.h. die künstlerische Arbeit muss gefördert werden, als deren Resultat ein künstlerisches Projekt steht. Dies bedeutet eine Umkehrung der derzeitigen Situation, bei welcher sehr oft fast ausschließlich das künstlerische Projekt gefördert wird. Dies ermöglicht aber nicht, dass die Künstler*innen und Akteur*innen ausreichend sozial abgesichert sind (selten AMS-Bezug, wenig oder keine Pensionsversicherungszeiten und -beiträge etc.).Ziel muss sein, dass auch die Förderungen für die Freie Szene den Zugang zu den sozialen Absicherungen – wie für die allermeisten Österreicher*innen – möglich machen. Die Künstler*innen zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die auch ihnen den Zugang zum sozialen Netz ermöglichen müssen. Der bereits begonnene Prozess von Fair Pay – der fairen und gerechten Bezahlung der Künstler*innen – muss unbedingt fortgeführt werden. In einem ersten Schritt muss dazu die verpflichtende Einführung von Honoraruntergrenzen bei Förderungen durch die öffentliche Hand umgesetzt werden. Wir schlagen hierzu einen gemeinsamen Prozess von Fördergeber*innen, IG Freie Theater und den Künstler*innen vor, der ab Juni 2020 beginnen sollte.