ASSITEJ Austria: Offener Brief zur derzeitigen Lage des Theaters für junges Publikum in Österreich

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Wien den 4.11.2020

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Sebastian Kurz!

Sehr geehrter Herr Vizekanzler Mag. Werner Kogler,

sehr geehrte Frau Staatssekretärin Mag.a Andrea Mayer,

sehr geehrte Damen und Herren des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport!

Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Heinz Faßmann,

sehr geehrte Damen und Herren des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung!

Sehr geehrter Herr Bundesminister Rudolf Anschober,

sehr geehrte Damen und Herren des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz!

Die ASSITEJ Austria bildet seit über 30 Jahren eine Schnittstelle unter den professionellen Theater- und Tanzschaffenden für und mit einem jungen Publikum in Österreich, sowie zwischen Produzierenden, Veranstalter_innen, Kulturpolitiker_innen und Medien. Sie ist Impulsgeberin zur Verbesserung der Situation und der Qualität der professionellen darstellenden Kunst für Kinder und Jugendliche in ganz Österreich.

Die Häuser und freien Gruppen im Bereich der Theaterproduktion für junges Publikum haben, ebenso wie alle anderen Kultureinrichtungen, funktions- und tragfähige Hygiene- und Präventionskonzepte entwickelt, um den Spielbetrieb und damit die kulturelle Grundversorgung Österreichs mit größtmöglicher Sicherheit zu gewährleisten. Seit einigen Wochen ist der Spielbetrieb für junges Publikum in vielen Bundesländern bereits faktisch untersagt, da beispielsweise Schulen aus dem Umland der größeren Städte trotz gelber Bildungsampel die orange gefärbten Städte nicht mehr betreten dürfen. Die Notwendigkeit, die nun kommunizierten Maßnahmen ab dem 2.11. umzusetzen, zweifeln wir nicht an.

Dennoch möchten wir auf die Notwendigkeit der kulturellen Teilhabe sowie der Grundversorgung mit Möglichkeiten der ästhetischen Auseinandersetzung und Gestaltung hinweisen.

Kinder und Jugendliche brauchen Möglichkeiten der ästhetischen Auseinandersetzung und Reflexion mit dem Erlebten!

Kinder und Jugendliche haben in den vergangenen Monaten höchste Verunsicherung erlebt und erleben sie noch – Räume zur eigenen und peer-group-orientierten Entfaltung fallen nun wieder weitestgehend weg, viele erleben weiterhin angespannte Familiensituationen, einige werden zudem Trauerfälle verarbeiten müssen und sie alle müssen sich mit der kollektiven Sorge um das Corona-Virus auseinandersetzen. Wenn wir das gemeinsam durchstehen wollen, brauchen wir Möglichkeiten für Kinder, für Jugendliche, zusammenzukommen und zu reflektieren, was sie erlebt haben und immer noch erleben. Wir müssen ihnen helfen, mit dieser außergewöhnlichen Erfahrung umzugehen und abseits von allem Kindheit und Jugend zu leben. Das gilt für mögliche Lockerungen ab Dezember, das gilt aber auch ab dem 2. November und in der möglicherweise weiterreichenden Situation, die geprägt sein wird von der COVID-19 Pandemie.

Wir benötigen – vor allem finanzielle – Unterstützung für die Verlagerung in den digitalen Raum – Expertise, Projektförderungen und Plattformen des Austauschs und der ästhetischen Gestaltung.

Es gilt, Möglichkeiten für theatrale Erfahrungsräume für Schülerinnen und Schüler zu schaffen! Dafür bedarf es neuer Förderkonzepte und finanzieller Mittel für eine sinnvolle Nutzung des Cyberraums und der digitalen Technologien.

Die Szene der Theaterschaffenden im Bereich des Theaters für junges Publikum ist wie keine andere betroffen!

Ein sehr großer Anteil unseres Publikums besteht aus Schulklassen, aus freiwillig organisierten Theaterbesuchen, die oft nur durch besonders engagiertes Lehrpersonal zustande kommen. Hier sind wir ohnehin immer auf eine gut funktionierende Partnerschaft zwischen Theaterverantwortlichen und Schulpersonal angewiesen.

Neben den Bestrebungen zur Wahrung unseres Kultur- und Bildungsauftrags sind wir, gemeinsam mit unzähligen anderen Vertreter*innen der Kunst- und Kulturlandschaft, in großer Sorge, dass die notwendigen Maßnahmen den gesamten Bereich weiterhin nachhaltig beschädigen und Kulturschaffende für junges Publikum in existenzielle Not stürzen. Es wurden Unterstützungsleistungen angekündigt und wir hoffen und erwarten eine rasche Ausformulierung und punktgenaue Unterstützung des Kunst- und Kultursektors, ohne den Österreich nicht das wäre, was es ist.

Theater für ein junges Publikum – das lehrt uns diese Zeit – muss krisenfest gemacht werden!

Lassen Sie uns gemeinsam und mit Augenmaß zukunftstaugliche Strategien für alle betroffenen Bereiche in der Kultur finden. Wir fordern, die Strukturen der ästhetischen Bildung (vom Theater für junges Publikum in all seinen Ausformungen – von den großen Institutionen bis zu den Selbständigen in den verschiedensten beteiligten Bereichen) zu evaluieren und zu stärken und somit eine stabile Grundlage zu schaffen, statt diesen Bereich weiterhin auf Abruf- und Selbstausbeutungsbereitschaft in einem stark von Honorarkräften und Projektförderungen geprägten Feld abzustellen. Der Ausnahmezustand sollte uns weiterbringen auf dem Weg, gemeinsam ästhetische Bildungsprozesse zu gestalten, um jetzt und in Zukunft alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen.

Constance Cauers (Vorsitzende des Vorstands der ASSITEJ Austria, Einzelmitglied)

Flo Staffelmayr (Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der ASSITEJ Austria, ANSICHT)

Florian Eschelbach (Geschäftsführung ASSITEJ Austria)

Und der restliche Vorstand der ASSITEJ Austria:

Martin Brachvogel (Follow the Rabbit)

Raffaela Gras (kollektiv kunststoff)

Nora Köhler (Theaterfabrik Weiz)

Nele Neitzke (Landestheater Linz / Junges Theater)

Uschi Oberleiter (Tiroler Landestheater)

Julia Ransmayr (Einzelmitglied)

Sanja Tropp-Frühwald (VRUM Performing Arts Collective)

Simon Windisch (TaO! Theater am Ortweinplatz)

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