Pressemitteilung Kulturrat Österreich, 18.6.2020
Am 10. März wurden die ersten Rollbalken heruntergelassen. Seither gibt es für Kunst und Kultur allerlei Initiativen zur Abfederung von Einnahmenausfällen. Wo hakt es?
Kunst und Kultur unter Corona-Bedingungen brauchen Finanzierung
Künstler_innen und Kulturschaffende brauchen Entschädigung
Perspektivisch: Für ein Ende des Prekariats
Gemeinsam: Schweigemarsch der Künstler_innen & Kulturarbeiter_innen
Am 10. März wurden die ersten Rollbalken heruntergelassen. Seither gibt es für Kunst und Kultur allerlei Initiativen zur Abfederung von Einnahmenausfällen. Wo hakt es? Noch immer sind Umsetzungen ausständig, noch immer bestehen Ausschlüsse – in einem Sektor, in dem sehr viele prekär arbeiten und leben. Der Härtefall-Fonds (WKO) erreicht leider trotz wiederholter Nachbesserungen längst nicht alle Kunst- und Kulturschaffenden. Der Covid-19-Fonds (KSVF) für Künstler_innen und Kulturvermittler_innen ist bis jetzt nicht über die „Soforthilfe“ von 1.000 Euro hinausgekommen. Der für Vereine essentielle NPO-Fonds (AWS) ist noch immer nicht startklar. Der zuletzt angekündigte neue Fonds zur „Überbrückungsfinanzierung für Künstler_innen“ (SVS) soll im Juli seine Tätigkeit aufnehmen. Nach 100 Tagen Corona-Krise steht fest: Verlässliche und für alle gleichermaßen einfach zugängliche Lösungen, die diese Krise in ihrer gesamten Dimension abdecken, lassen nach wie vor auf sich warten.
Nun gehen die Rollbalken wieder hinauf, das Ringen um die Rechtsauslegung der Lockerungsverordnung ist in Teilen erfolgreich erledigt. Einnahmen fehlen jedoch. Es könne nicht sein, dass Kunst- und Kultureinrichtungen geschlossen halten müssen, weil sie durch die bestehenden Corona-Maßnahmen nicht kostendeckend arbeiten können, postulierte Staatssekretärin Mayer zu ihrem Amtsantritt. Maßnahmen, die den Veranstalter_innen verringerte Einnahmen abdecken, liegen aber noch nicht einmal als Entwurf vor.
100 Tage Corona-Krise – wir nehmen diese Wegmarke zum Anlass, dringend notwendige Schritte zu formulieren:
a) Sofortmaßnahmen
(1) Die Entschädigung für NPOs, parlamentarisch bereits zweimal beschlossen, muss endlich umgesetzt werden.
(2) Die Überbrückungsfinanzierung für selbstständige Künstler_innen muss zügig starten ‒ möglichst direkt nach Kundmachung der gesetzlichen Grundlage (derzeit frühestens am 3. 7.).
(3) Bis zum Funktionieren der Überbrückungsfinanzierung soll der Covid-19-Fonds (KSVF) eine sofort auszuzahlende Zwischenfinanzierung zumindest für all jene leisten, deren Anträge auf Soforthilfe bereits positiv entschieden wurden. In der Höhe soll diese wie die zu erwartende Entschädigung aus der Überbrückungsfinanzierung bemessen sein.
(4) Immer noch gibt es Personengruppen, die von den Entschädigungsleistungen ausgeschlossen sind, allen voran die meisten geringfügig Beschäftigten. Für sie braucht es dringend eine Lösung, beginnend mit der überfälligen Umsetzung der im 17. Covid-19-Gesetz bereits verankerten Aufnahme von mehrfach geringfügig und zeitweise Beschäftigten in Monaten, in denen ihre Einkommen daraus die monatliche Geringfügigkeitsgrenze übersteigen.
(5) Ziel der Sofortmaßnahmen muss sein, zumindest monatliche Einkünfte in Höhe der Armutsgefährdungsschwelle für alle zu ermöglichen ‒ sei es als Aufstockung oder unbürokratischer als Pauschalzahlung.
b) Begleitmaßnahmen zum beschränkten Wiederbeginn
(6) Nicht generierbare Einnahmen aufgrund von Personenbeschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen, aber auch zusätzliche Aufwendungen für Hygienemaßnahmen, Gagen und andere Mehrkosten für Zweitauftritte (bei Lösungen wie doppelten Konzerten, Aufführungen, Auftritten am gleichen Abend) müssen ersetzt werden. Dafür braucht es einen Neustartfonds.
(7) Nicht generierbare Einnahmen als Folge von Verschiebungen und den noch unabsehbaren Folgewirkungen des globalen Lockdowns müssen ersetzt werden. Koproduktionen, Touring, transnationale Vernetzung können nicht von heute auf morgen wieder aufgenommen werden ‒ fest einkalkulierte Einnahmen fehlen für die nächste Neuproduktion. Darunter leidet vor allem die künstlerische Produktion: Gagen, Personal- und Produktionskosten stehen nicht wie geplant zur Verfügung. Auch dafür braucht es einen Neustartfonds – mit einer Laufzeit bis mindestens Ende 2021.
(8) Alternative Fördermodelle müssen entwickelt werden, die grundsätzlich den Fortbestand künstlerischer Produktionen und Neuentwicklungen sichern und auf die künstlerische Arbeit und Arbeitsprozesse abzielen. Auch hierfür kann ein Neustartfonds modellhaftes Beispiel werden.
(9) Es braucht Auffangmechanismen bei Corona-Infizierungen im Team, in der Crew, bei einzelnen Kunst- und Kulturschaffenden, z. B. analog der Ausfallhaftung bei Filmproduktionen.
c) Vorausschauende Notfallmaßnahmen
(10) Es braucht Lösungen zu vertragsrechtlichen Knebelformulierungen, nicht nur im geförderten Bereich. Klauseln zur automatischen „einvernehmlichen“ Kündigung oder Vertragsauflösung bei einem potenziellen nächsten Lockdown müssen verhindert werden. Entschädigungslose Vertragsrücktritte aufgrund höherer Gewalt dürfen nicht mehr möglich sein. Die Künstler_innen und Kulturschaffenden als Vertragspartner_innen müssen sich auf die vertraglich vereinbarten Einnahmen verlassen können. Es braucht also eine entsprechende Schutzklausel und angemessene Abschlagszahlungen. In weiterer Folge braucht es eine staatliche Kompensation, wenn die Ursache nicht lokal beschränkt ist.
(11) Entsprechend zu überarbeiten sind die Förderrichtlinien im Kunst- und Kulturfeld, erforderlichenfalls auch die allgemeine Rahmenrichtlinie für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln.
(12) Es braucht eine grundlegende Förderung digitaler Formate und zukunftsträchtige Vergütungsmodelle, damit Kunst- und Kulturschaffende ihre Leistungen nicht auf eigene Kosten und gänzlich ohne Einnahmen zur Verfügung stellen müssen.
d) Grundlegender Änderungsbedarf
(13) „Von Arbeit leben können“. Dieser Satz muss im Kunst- und Kulturfeld Selbstverständlichkeit werden. Praktisch umfasst das:
(14) Umsetzung einer umfassenden Strategie zu angemessener Bezahlung und guten Vertragsverhältnissen (Fair Pay). Das reicht von der Etablierung von Mindesthonorarkatalogen bis zur Einführung eines Urheber_innenvertragsrechts.
(15) Selbstverständliche jährliche Valorisierung von Kunst- und Kulturförderungen ‒ zumindest in Höhe der Inflationsrate.
(16) Das bedeutet: Auch die staatlichen Mittel für Kunst und Kultur müssen nach oben gehen, zumindest verdoppelt werden.
(17) Zahlreichen Änderungsbedarf gibt es in Hinblick auf zu lösende Fragen der sozialen Absicherung: Stichwort Kompatibilität der unterschiedlichen Systeme beim Zusammenspiel von unselbstständiger und selbstständiger Tätigkeit mit Phasen der Erwerbslosigkeit. Stichwort Künstler_innen-Sozialversicherungsfonds – allem voran Ausweitung der Zuschussberechtigten, zusätzliche Bonusjahre für die Dauer der Krise, Abschaffen der Einkommensuntergrenze.
Wir alle brauchen Kunst und Kultur ‒ für den Genuss wie als Spiegel, für eine gesellschaftliche Veränderung wie als Grundlage von Wertschöpfung. Kunst- und Kulturschaffende wollen agieren, wollen performen, wollen spielen, wollen zeigen. Wie alle müssen sie aber auch von ihrer Arbeit leben können.
Unter dem Brennglas der Krise ist in vielen gesellschaftlichen Sektoren deutlich geworden, wie prekär die Situation der Arbeitenden ist. Nutzen wir die Situation, um nachhaltige Änderungen herbeizuführen. Auch, und besonders, im Feld der Kunst und Kultur.
Setzen wir uns gemeinsam dafür ein:
Schweigemarsch
… der Künstler_innen, Kulturschaffenden, Supporter_innen aller Sparten und Gewerke
Für ein deutliches Zeichen der Solidarität mit der Kunst und Kultur in Österreich.
Ein klares Bekenntnis zur Finanzierung von Kunst und Kultur in Österreich!
Kunst- und Kulturschaffende müssen von ihrer Arbeit leben können!
Denn ohne Kunst wird’s still.
Mittwoch, 1. Juli 2020 15h
Treffpunkte: Schottenring bzw. Urania
Abschlusskundgebung: Heldenplatz (ab ca 16h)