Plädoyer für Transparenz

IG Freie Theaterarbeit, 29. Jänner 2008

Im Folgenden finden Sie die Positionierung der IGFT hinsichtlich der medialen Thematisierung einer Vertragsverlängerung der künstlerischen Leitung des TQW

Ein Plädoyer für Transparenz

Das Tanzquartier Wien ist (k)eine Gründung der Stadt Wien – es wurde 2001 nach fünf mühevollen Jahren von den Tanz- und Performanceschaffenden der Stadt Wien gemeinsam mit der IG Freie Theaterarbeit erstritten. Der damalige Kulturstadtrat Marboe setzte gegen die Intention der KünstlerInnen ein Intendanzmodell durch – als Minimalkonsens der Mitsprache erhielt das Haus ein fünfköpfiges Kuratorium, in dem KünstlerInnen zwei Positionen besetzen. Diese werden von der IG bestellt, zuletzt 2007 in einem offenen Wahlverfahren unter Österreich weiter Beteiligung. 2004 verlängerte das Kuratorium die Intendanz, nun steht konform mit der Wiener Theaterreform, die in ihrem Leitbild eine auf zwei Intendanzperioden begrenzte Leitungsfunktion vorsieht, die Neuausschreibung des Hauses an.

Die Intendantin des Hauses versucht derzeit mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln – nun auch mit medialen – ihr eigenes Aufsichtsorgan zu diskreditieren oder abzuschaffen und die Neuausschreibung ihrer Position nach zwei erfolgreichen Intendanzperioden zu verhindern. In einer derartigen Offensivität ist ein solches Gebaren unüblich. Es spricht für die Verve der Intendantin, nicht für Ihre Vermittlungsfähigkeit als Leitung der zentralen Tanz- und Performance-Institution.

Dieser massive und demokratiepolitisch mehrfach bedenkliche Eingriff in einen sensiblen Prozess bewirkt statt einer Befriedung eine Verschärfung des Konflikts und führt zur Lagerbildung und Spaltung innerhalb der Tanz- und Performance-Szene. Das ist bedauerlich, insbesondere, weil im Ringen um ein transparentes Procedere die Tanz- und Performanceschaffenden seit einem guten Jahr endlich wieder einen Diskurs der Selbstverständigung begonnen haben.

Das TQW ist ohne Zweifel eine Institution mit internationaler Relevanz und Zukunft. Keinesfalls jedoch ist das ein schlüssiges Argument gegen eine Neuausschreibung. Im Gegenteil: die Verlängerung der Intendanz würde den Graben unter den Tanz- und Performance-Schaffenden zementieren; eine Ausschreibung hingegen bedeutet Raum für neue Offenheit. Strukturell gibt dabei der anhaltende Konflikt Anlass, das Intendanzmodell generell zugunsten einer pluralen künstlerischen Leitung zu überdenken, wie es schon bei Gründung des Hauses die KünstlerInnen forderten.

Möge der Stadtrat endlich sein Entscheidungspouvoir wahrnehmen und seine selbst gesetzten Leitlinien mit einem Bekenntnis zur Ausschreibung auch strukturell vertreten. Nur das bedeutet einen Schritt vorwärts in Richtung Transparenz.

Sabine Kock,
Geschäftsführung

Presseaussendung der IGFT zur geplanten Neuausschreibung des TQW

Die IG Freie Theaterarbeit begrüßt die geplante Neuausschreibung der Intendanz des Tanzquartier Wien als großartige Möglichkeit, die erfolgreiche nationale und internationale Positionierung des Hauses unter der Intendanz von Sigrid Gareis fortzusetzen und gleichzeitig eine neue Offenheit zu ermöglichen.

Die von Kulturstadtrat Mailath-Pokorny angekündigte professionelle und internationale Ausschreibung ist ein wichtiges Zeichen für die Seriosität und Qualität der Wiener Theaterreform. Dass der Stadtrat in seiner Entscheidung der Empfehlung des Kuratoriums gefolgt ist, ist dabei ebenso ein wichtiges Zeichen demokratiepolitischer Sensibilität.

Die Erfolge der derzeitigen Intendanz, die das Haus neun Jahre lang aufgebaut hat, sind groß und ermöglichen den Anschluss an eine bereits bestehende Sichtbarkeit und Positionierung. Bei der Neubesetzung ein noch stärkeres Gewicht auf künstlerische Positionen zu setzen, könnte Wien künftig als Standort von Praxis und Diskurs von Tanz und Performance national und international weiter stärken als einen Ort, von dem aus die relevanten Fragen der Gegenwart des Genres offen und radikal gestellt und praktisch und theoretisch nachhaltig verfolgt und in die Welt getragen werden. Gleichzeitig braucht es im Sinn der Pluralität andere Formate, in denen im Tanzquartier nicht repräsentierte Stilistiken adäquat ihre Öffentlichkeit finden können.

IG Freie Theaterarbeit, 29.01.2008

Antwort der IGFT an die KünstlerInnen und UnterstützerInnen, die vergangene Woche einen Aufruf an den Kulturstadtrat sandten

Liebe KünstlerInnen und UnterstützerInnen des TQW!
Sehr geehrter Stadtrat Dr. Mailath Pokorny!

Die IG Freie Theaterarbeit verfolgt die Auseinandersetzungen um das TQW seit seiner Gründung.
Von 2001 bis 2005 haben Daniel Aschwanden und Rose Breuss (letztere noch ein weiteres Jahr interimsmäßig), die in Wien verorteten zeitgenössischen ChoreographInnen und KünstlerInnen und die IG freie Theater im Kuratorium des TQW vertreten, beide zuletzt unter großem Protest derjenigen KünstlerInnen, die sich von Ihnen und ihrer Position nicht vertreten fühlten. Ihre Haltung zum TQW wurde zunehmend als affirmativ wahrgenommenen. Vor allem die fehlende Information und Rückkopplung zu den anderen KünstlerInnen und der IGFT, die von den jetzigen Kuratorinnen garantiert wird, wurden dabei stark kritisiert.

Die bei der Gründung des Kuratoriums turnusmäßig festgeschriebene Neubesetzung der Kuratoriumspositionen haben wir mit einer möglichst offenen, demokratiepolitisch transparenten und mit JuristInnen abgeklärten Wahl im letzten Jahr vollzogen. Von 113 registrierten und von der Wahlkommission zugelassenen WählerInnen haben 92 gewählt, d.h. die Wahlbeteiligung betrug 81,5 %.
Im Zeitraum Herbst 2006 bis Mai 2007 hat begleitend ein intensiver Diskussionsprozess bezüglich des Wahlmodus stattgefunden, der allen Tanzschaffenden offen stand.

Die Entscheidung, auch KünstlerInnen zur Wahl zuzulassen, die nicht in Wien wohnen, ist Resultat von drei Hauptargumenten:
1) Das TQW hat überregionale Bedeutung, auch wenn es bislang ausschließlich von Wien finanziert wird.
2) Die Stadt Wien besetzt aus dem gleichen Grund eine ihrer zwei Kuratoriumspositionen mit der Bundesbeamtin Mag. Katrin Kneissel. Die von der Stadt Wien und IG gemeinsam bestellte Person Prof. Claudia Jeschke ist in Salzburg ansässig.
3) Einige im TQW arbeitende Künstlerinnen haben ihren Wohnsitz nicht in Wien und es gibt juridisch keinen anderen Modus, der gleichberechtigt Tanz- und Perormanceschaffende aus den Bundesländern zur Mitsprache berechtigt. Das betrifft insbesondere diejenigen, die bereits im TQW gearbeitet haben.

Das Ergebnis ist bekannt (es hätte sich im Übrigen durch eine Beschränkung auf Wien nicht verändert. Silvia Both und Marty Huber wurden übrigens mit dieser Wahl zum dritten Mal bestätigt).

Die derzeitigen Kuratorinnen Marty Huber und Silvia Both sind in der Szene ganz unterschiedlich verortet und haben alle Tanz- und Performanceschaffenden mehrfach eingeladen, die Frage der Neuausschreibung in einem gemeinsamen Meinungsbildungsprozess offen zu diskutieren. Dieser Prozess hat insgesamt zu einer hoffnungsvollen Wiederbelebung des Diskurses unter den Tanz- und Performanceschaffenden geführt und ich bedaure, dass sich die derzeitige Intendanz in diesen sensiblen Prozess künstlerischer Selbstverständigung massiv einbringt und eine Instrumentalisierung der KünstlerInnen bis hin zu Medien betreibt, die den nicht zu leugnenden Sachkonflikt leider emotionalisiert, um so mit allen Mitteln einer Ausschreibung des Hauses für 2009 entgegenzutreten.

War es zunächst die Wahl des Kuratoriums, wird nun, weil diese nicht anfechtbar ist, das Gremium selbst oder gar die Reform als solche in Frage gestellt. Den vorliegenden Brief und auch die Standard Artikel vom 19.1.08 sehe ich in direktem Zusammenhang mit der geplanten Kuratoriumssitzung am 25. Jänner, in der die Frage der Ausschreibung verhandelt werden soll – sozusagen als mediale Maßnahme, die geplante Ausschreibung per ‚informeller Petition‘ zu stoppen.

Was jedoch spricht ernsthaft und strukturell gegen eine Ausschreibung des Hauses?
Von vornherein hat sich mit der Gründung des Hauses ein Konflikt aufgetan: Zum einen ergab sich der Konflikt strukturell durch die Vorgabe des Intendanzmodells durch Peter Marboe, der das von der ChoreografInnenplattform vorgeschlagene Leitungsgremium ablehnte und eine Intendanz durchsetzte, zum anderen personell u.a. durch den Umstand, dass viele KünstlerInnen, die das Haus in mühevollen Jahren unter existentiellem biografischen Einsatz konzeptionell erstritten haben, sich von der Intendanz in keinem Format vertreten fanden. Eine Lähmung der ChoreografInnenenplattform und eine zunehmende Segmentierung bis hin zur partiellen Spaltung in der Tanz- und Performanceszene waren die Folge und sind heute Fakt.

Ich halte den derzeitigen Konflikt nicht durch einen Aufschub der Ausschreibung um zwei Jahre lösbar. Im Gegenteil: er wird dadurch perpetuiert und zementiert. Das Haus hat ohne jeden Zweifel auf dem Hintergrund einer vorbildlichen Ausstattung große Arbeit geleistet für die Sichtbarkeit der gesamten Sparte Tanz und Performance innerhalb und außerhalb von Österreich und ist international deutlich positioniert. Aber warum das TQW deshalb von der Theaterreform ausgenommen werden soll, ist mir nicht begreiflich (Airan Berg hat mit höchster Anerkennung sein Haus nach sechs Jahren im Turnus der Neuausschreibung reformkonform verlassen). Die turnusmäßige Neubesetzung richtet sich nicht gegen die jeweils handelnden Personen, die Begrenzung der Amtszeit macht wie im Feld des Politischen strukturell Erneuerungen möglich. Eine Neuausschreibung könnte auch einer Weiterentwicklung der erfolgreichen Linie des Hauses Rechnung tragen. Die Wiener Theaterreform spricht sich in einem zentralen Statement für eine begrenzte Laufzeit von Intendanzen und Fördermodellen aus (vgl. Leitbild zur Theaterreform), die Ergebnisse nicht vollzogener Intendanzwechsel sind in Wien nur allzu gut bekannt. Das TQW durch eine zweijährige Ausnahme aus den Regelungen der Neugestaltung der Wiener Theater- und Tanzlandschaft auszunehmen wäre nicht nur ein schlechtes Zeichen, sondern ein massiver Rückschritt bezogen auf die ohnehin noch nicht durchgehend errungene Transparenz in der Mittelvergabe.

Dabei stellt die Neuausschreibung des TQW nur einem Baustein im Feld von Tanz- und Performance dar. Um eine genügende Pluralität zu garantieren, ist darüber hinaus eine strukturelle Stärkung anderer Formate wie etwa Imagetanz und im_flieger genauso wichtig wie die Ausstattung von mehreren Häusern mit hinreichenden (Ko)Produktionsbudgets sowie eine gesonderte Budgetierung für Nachwuchsförderung.

In dem vorliegenden Brief sind außer einer ehrenvollen, impliziten Referenz an die Person der Intendantin keine wirklich überzeugenden Sachargumente zu finden, die gegen eine Ausschreibung des TQW sprechen bzw. mit ihr nicht erfüllt werden könnten.

Strukturell jedoch scheint der Konflikt Anlass zu geben, das bisherige Intendanzmodell im TQW generell zugunsten eines pluralen künstlerischen Leitungsmodells zu überdenken.

Sehr geehrter Herr Stadtrat, wir fordern sie auf, dass Sie sich zu der von Ihnen initiierten Theaterreform bekennen und diese auch vollinhaltlich umsetzen!!

Im Namen des Vorstandes der IG Freie Theaterarbeit
Sabine Kock
Geschäftsführung

Wien, 21.01.2008, IG Freie Theaterarbeit

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