FAIRE VERTRÄGE – FAIRES SPIEL

Pressemeldung IG Freie Theaterarbeit, 20.8.2021

Aufgrund aktueller Rückmeldungen von Künstler*innen möchten wir auf die Empfehlungen für Theaterveranstalter*innen hinweisen, die bereits im Juni 2021 von der IGFT an die österreichischen Sommertheater versandt wurden. Diese Empfehlungen bilden einen Kriterienkatalog für ein faires Arbeiten und basieren auf den Erfahrungen unserer Beratungsarbeit.
Bezüglich der Bezahlung verweisen wir auf die Honoraruntergrenzen-Empfehlungen (freietheater.at/Honoraruntergrenze), die seit Februar 2020 für Projekt- und 1-2 Jahresanträge bei der Stadt Wien angewandt werden.

Ulrike Kuner, GF IG Freie Theaterarbeit:
„Die Folgen der Coronakrise werden in der Kunst und Kultur noch lange zu spüren sein – umso wichtiger sind faire Entlohnungen, korrekte und faire Vertrags- und Arbeitsverhältnisse, eine frühzeitige Ausstellung der Verträge und keine Abwälzung des unternehmerischen Risikos auf die einzelnen Künstler*innen. Wichtig ist eine kooperative und professionelle Arbeitsbeziehung zwischen Künstler*innen und Veranstalter*innen – ohne Druckausübung und Machtanwendung. Nur so gelingt ein starkes Fundament für die volle Entfaltung der Kreativität und gute künstlerischer Arbeit“.

Empfehlungen / Kriterien für aktuelle Vertragsgestaltungen der IG Freie Theaterarbeit an österreichische Theaterunternehmer*innen    

Mangelnde soziale, rechtliche und finanzielle Absicherung der Künstler*innen in der darstellenden Kunst sind kein neues Phänomen, sie wurde jedoch durch die Pandemie und ihre Folgen massiv verstärkt und deutlich gemacht. Die IG Freie Theaterarbeit wurde und wird leider sehr oft mit Problemen der Beschäftigungs- und Vertragsgestaltung konfrontiert, die in den allermeisten Fällen zu Ungunsten der Künstler*innen formuliert und gehandhabt wurden.
Umso wichtiger ist es, jetzt und in Zukunft auch die soziale Verantwortung als Dienstgeber*in ernst- und wahrzunehmen. Die IG Freie Theaterarbeit hat hierzu Musterverträge erarbeitet.
Darüber hinaus empfehlen wir österreichischen Theaterunternehmer*innen und Festspielen / Festivals / Vereinen / Gruppen / Companies folgenden Kriterienkatalog für ein faires Arbeiten in der darstellenden Kunst.

  1. Nicht dem Theaterarbeitsgesetz bzw. ABGB entsprechende Verträge sind rechtswidrig

Ein Vertrag ist eine individuelle Regelung, die auf Angebot und Annahme beruht. Grundlage dafür bildet das Gesetz. Eine faire Vertragsgestaltung analog zum jeweils anzuwendenden Gesetz ist also die Voraussetzung. Wir möchten deutlich darauf hinweisen, dass die Künstler*innen in den individuellen Verträgen nicht schlechter gestellt sein dürfen als es im Gesetz geregelt ist. Damit können von vornherein Rechtssicherheit und -klarheit für beide Vertragsparteien gewährleistet und nachträgliche Auseinandersetzungen bzw. Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.

  1. Kein Missbrauch der Machtstrukturen bei Vertragsunterfertigung

Als Anlaufstelle für viele Künstler*innen ist die IG Freie Theaterarbeit in Kenntnis über viele erfolglose Versuche vonseiten der Künstler*innen, bei Institutionen u.a. ein Gespräch mit der für die Vertragsunterfertigung zuständigen Person oder etwaige Änderungen in ausgehändigten Verträgen zu erreichen.

Auf Einwände der Künstler*innen zu vertraglichen Regelungen ­– insbesondere, wenn diese nicht konform mit den Regelungen des Theaterarbeitsgesetzes oder des ABGB gehen – darf nicht mit der Ausübung von Macht und dem drohenden Verlust des Engagements begegnet werden. Eine sachliche Auseinandersetzung über die Vertragsinhalte muss möglich sein.

  1. Frühzeitige Unterfertigung der Verträge sichern Künstler*innen ab

Für Veranstalter*innen und Künstler*innen / Kunstarbeiter*innen ist es wichtig, frühzeitig Verträge abzuschließen. Das sichert Planbarkeit und Gewissheit für beide Seiten. Gerade in Zeiten der Krise ist es für die Künstler*innen / Kunstarbeiter*innen von großer Bedeutung, dass die Verträge frühzeitig ausgehändigt und unterfertigt werden, um ein Engagement so sicher und eindeutig wie möglich zu vereinbaren.

Ein Zurückhalten der (unterschriebenen) Verträge vonseiten der Institutionen müssen wir entschieden ablehnen.

  1. Einseitiger Rücktritt des Veranstalters vom Vertrag ist nur in Sonderfällen möglich

Wie oben bereits erwähnt, gelten die Regelungen des TAG und des ABGB. Laut Theaterarbeitsgesetz ist ein einseitiger Rücktritt vonseiten des*der Theaterunternehmer*in nur in dort festgehaltenen Fällen möglich. Individuelle Vereinbarungen dürfen die Künstler*innen nicht schlechter stellen, als es im TAG geregelt ist. Gleiches gilt für Werkvertragsnehmer*innen, hier sei auf § 1168 ABGB verwiesen.

Da im Zweifelsfall auf das Gesetz zurückgegriffen wird, ist von derartigen vertraglichen (und fraglichen) Zusätzen vehement abzuraten. Tritt der*die Theaterunternehmer*in einseitig vom Vertrag zurück, ist anhand des TAG oder ABGB zu klären, ob die Dienstnehmer*innen oder Werkvertragsnehmer*innen ggf. vollen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt haben.

  1. Höhere Gewalt gilt bei pandemiebedingten Absagen nicht mehr!

Im Jahr 2005 hat der OGH in einer Entscheidung das Virus SARS als höhere Gewalt eingestuft (OGH 14.6.2005, 4 Ob 103/05h). Wir gehen davon aus, dass auch das Virus COVID-19 und die daraus entstandene Pandemie grundsätzlich als höhere Gewalt eingestuft werden könnte.

In Österreich werden die Auswirkungen von unvorhersehbaren Ereignissen („höhere Gewalt“) unter dem juristischen Begriff des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ diskutiert. Der OGH hat dazu in seiner Entscheidung vom 11.5.2000 zu 7 Ob 211/99a Folgendes ausgeführt:

Unter der Geschäftsgrundlage von Verträgen zwischen Parteien versteht man geschäftstypische Voraussetzungen, die jedermann mit einem bestimmten Geschäft verbindet und die nicht erst einer Vereinbarung bedürfen. Ausgeschlossen werden dabei Umstände,

  • die in die Interessensphäre jener Partei fallen, die sich auf die geänderten Verhältnisse berufen will,

          Umstände,

  • deren Wegfall vorhersehbar war oder auch
  • wenn der Wegfall der Voraussetzungen durch das eigene Verhalten herbeigeführt wurde.

Der Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage bewirken nun entweder die Auflösung oder die Anpassung des Vertrages.

Unter Berücksichtigung der Vorhersehbarkeit ist also entscheidend, wann ein Vertrag abgeschlossen wurde. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Pandemie und deren (auch gesetzliche) Auswirkungen bereits vorhersehbar waren, liegt keine „höhere Gewalt“ mehr vor, die zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen können. Die Pandemie ist dann nämlich schon „vorhersehbar“. Demnach ist die Berufung auf „höhere Gewalt“ bei in Zeiten der grassierenden Pandemie abgeschlossenen Verträgen nicht möglich.

Damit „entpuppen“ sich vertragliche Regelungen zur „höheren Gewalt“ in Bezug auf COVID-19 als vermeintlich außerordentliche Rücktrittsrechte für den*die Dienstgeber*in, mit denen das Unternehmerrisiko auf den*die Dienstnehmer*in abgewälzt werden soll. Ein Vorliegen der Sittenwidrigkeit wäre im Anlassfall zu prüfen.

  1. Einseitige Verschiebung der Projekte: Anspruch auf Entgelt für Künstler*innen

Ein Anspruch auf eine einseitige Verschiebung des geplanten Vorhabens seitens des Theaterunternehmens ist weder beim Werkvertrag noch beim Dienstvertrag gegeben. Kommt es also zu einer einseitigen Verschiebung des Vorhabens, haben Werkvertragsnehmer*innen und/oder Dienstvertragsnehmer*innen gegebenenfalls vollen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt. Auch hier gelten die Bestimmungen des TAG und ABGB.

Bereits erhaltene Abschlagszahlungen, die den Künstler*innen bei einer zukünftigen Realisierung wieder abgezogen werden, sind entschieden abzulehnen, da sie lediglich den Einkommensentfall auf einen späteren Zeitpunkt verlegen.

  1. Angemessenheit bei Konventionalstrafen in Verträgen bei Absagen von Seiten der Künstler*innen

Etwaige Konventionalstrafen sind im § 22 TAG geregelt. Die Höhe der vereinbarten Konventionalstrafe sollte im Verhältnis zum erhaltenen Entgelt stehen und nicht unangemessen hoch sein.

Abschließend ist festzuhalten, dass das unternehmerische Risiko nicht auf die Dienstnehmer*innen abzuwälzen ist, dies entspricht nicht den Treue- und Obsorgepflichten des*der Dienstgeber*in und wäre ggf. auch als sittenwidrig zu werten. Eine soziale Absicherung für die Künstler*innen ist nicht nur in Zeiten der Krise enorm wichtig, eine korrekte Vertragsgestaltung sollte immer die Voraussetzung für jede Art von Arbeiten sein.

Unsere Empfehlung: Keine mündlichen Vereinbarungen! Die IGFT stellt für Mitglieder Musterverträge gratis zur Verfügung.

Die Empfehlungen werden von der IG Freie Theaterarbeit verstärkt auch an die Künstler*innen vermittelt, um ein Bewusstsein für deren Rechte und Pflichten zu schaffen.

Ulrike Kuner / Geschäftsführung
Sara Ostertag, Inge Gappmaier, Daniela Oberrauch, Hannes Saghy, Barbara Herold, Charlotta Ruth, Sabine Reiter, Veronika Glatzner / Vorstand der IG Freie Theaterarbeit

Für Rückfragen sind wir selbstverständlich gerne erreichbar.

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Die Interessengemeinschaft Freie Theaterarbeit (IGFT) besteht seit 1988 als Interessenvertretung und Netzwerk von Theater-, Tanz- und Performanceschaffenden. Wir vertreten derzeit mehr als 1.900 Mitglieder und leisten im Jahr rund 4.000 Beratungen. Den in Österreich arbeitenden Künstler*innen bieten wir wichtige Informationen und Beratungsleistungen und begleiten sie in ihrer professionellen Karriere. 

Wir setzen uns dafür ein, dass künstlerische Arbeit nur unter den Bedingungen sozialer, materieller und rechtlicher Sicherheit erfolgt. Rechtliche Rahmenbedingungen, nachhaltig wirkende Fördermodelle und eine gesicherte finanzielle Ausstattung sind die Grundlage für legale Arbeitsverhältnisse im freien Theater-, Tanz- und Performancebereich und ermöglichen den Kunstschaffenden eine umfassende soziale Absicherung. 

Unsere Erfahrungen teilen wir mit Partnerorganisationen in anderen Ländern und sammeln unsere Forderungen im Europäischen Dachverband der freien darstellenden Künste (EAIPA), um hiermit unsere Anliegen auch auf EU-Ebene zu artikulieren.

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