Offenes Ende oder (K)ein Trauerspiel?

Heute, am 22. Juni, hat der Kulturrat Österreich in einer Pressekonferenz umfassend zum Prozess interministerieller Arbeitsgruppen zur Sozialen Lage von KünstlerInnen in Österreich Stellung genommen.
Anbei finden Sie den aktuellen Forderungskatalog und im Anhang eine umfangreiche Materialiensammlung zu den verschiedenen Themenkomplexen.
Kulturrat Österreich, Unterlagen zur Pressekonferenz am 22. Juni 2010
kulturrat.at/agenda/sozialerec…

Hier finden Sie die spezifische Zwischenbilanz der IG Freie Theaterarbeit.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung:
Sabine Kock, IGFT und Kulturrat Österreich
01/403 87 94 oder 0699/11 30 15 31

Offenes Ende oder (K)ein Trauerspiel?
Zwischenbilanz des interministeriellen Arbeitsprozesses (IMAG) zur sozialen Lage der KünstlerInnen aus der Perspektive der IG Freie Theaterarbeit

Vorspiel auf dem Theater
Im Februar 2009 hat die IG Freie Theaterarbeit in der Broschüre Prekäre Freiheiten die Problemlagen freier Theaterarbeit in Österreich skizziert und als Bedingung für mögliche Verbesserungen vehement die Einrichtung eines interministeriellen ExpertInnengremiums gefordert. Die Broschüre endete mit der Vision einer ’Sozialversicherung unter einem Dach’ für KünstlerInnen und eine der darin aufgestellten Forderungen war eine Novellierung des 1922 implementierten Schauspielergesetzes.

1. Akt – Entfaltung des Themas
Im April 2009 begann tatsächlich ein umfassender vom bm:ukk initiierter, interministerieller Arbeitsgruppenprozess zur Verbesserung der sozialen Lage der KünstlerInnen.
Dabei gab es neben den allgemeinen Themen zwei von vornherein umsetzungsorientierte Arbeitsgruppen: eine zur Vision einer ‚Sozialversicherung unter einem Dach’, eine zur Novellierung des Schauspielergesetzes – allein soweit ein messbarer Erfolg unserer kulturpolitischen Arbeit.

2. Akt – Schürung des Knotens
Obwohl die Vision einer ‚Sozialversicherung unter einem Dach’ im Verlauf der Arbeitsgespräche sich als nicht umsetzbar erwies, sind in dieser von Sektionschef Walter Pöltner (bm:ask) geleiteten Arbeitsgruppe zwei zwar kleine, aber signifikante Vorschläge für eine bessere Vereinbarkeit selbstständiger und unselbstständiger künstlerischer Tätigkeit entwickelt worden – eines der Hauptprobleme (nicht nur) in der freien Theaterarbeit:
Selbstständig tätige KünstlerInnen haben oft keinen Zugang zum Arbeitslosengeld, auch wenn sie theoretisch durch Anstellungen Ansprüche erworben haben – KünstlerInnen mit selbstständigen Einkünften unterhalb der Mindestgrenze fallen andererseits um die Möglichkeit von Zuschüssen durch den Künstlersozialversicherungsfonds (KSVF) um.
Das soll sich künftig ändern: Ein bei der SVA angesiedeltes Servicezentrum soll eine zentrale Anlauf-, Beratungs- und Informationsstelle für KünstlerInnen anbieten. Gleichzeitig sollen Künstlerinnen künftig unter dem Jahr ihre selbstständige Tätigkeit ‚ruhend stellen’ können. Damit verbunden ist die Möglichkeit einer Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosengeldbezüge, die im jetzigen System systematisch ausgeschlossen wird.

3. Akt – Dramatischer Höhepunkt
49,7 % der RespondentInnen der Studie zur Sozialen Lage der KünstlerInnen in Österreich arbeiten in der Sparte der darstellenden Kunst ausschließlich selbstständig, 50,3 % selbstständig und angestellt und nur mehr 2,4 % ausschließlich angestellt, 75,5 % der RespondentInnen in der darstellenden Kunst in Österreich haben keine Integration ins ALVG, also auch keinen Zugang zur Möglichkeit des Bezugs von Arbeitslosengeld. Dabei schreibt das Schauspielergesetz Anstellungen vor und für die JuristInnen der AK und der Gewerkschaft ist klar: Wer auf der Bühne steht, muss in jedem Fall angestellt werden.
Inwieweit und für wen das künftig gelten soll, sollte mit der aufwändigen Novellierung des Schauspielergesetzes geklärt werden.
Gelungen in diesem in sich ausgezeichneten, von Sektionsleiterin Gerda Ercher (bm:ask) geleiteten Arbeitsprozess, ist eine Adaptierung der Arbeitsbestimmungen auf der Bühne an sozialrechtliche Standards, nationale und europäische Rahmengesetzgebungen und andere juristische Normen – es wird ein modernes Schauspielgesetz geben.

4. Akt – Retardierendes Moment
Doch am Ende des aufwändigen Prozesses durch alle Paragrafen des Gesetzes stehen wir wieder am Anfang: der umstrittene Geltungsbereich des Schauspielgesetzes konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden: Wer ein ’Theaterunternehmer’ (§1) ist und darum anstellen muss, bleibt weiter offen in zweierlei Hinsicht: Auch bei klarer Rechtslage umgehen kleine Theater, Mittelbühnen, große Festspiele und das breite Feld der Sommertheater das Anstellungsgebot aus Kostengründen und werden dafür selten belangt, da Fördergeber aller Ebenen, Politik und VeranstalterInnen bislang gemeinsam einen juridischen Graubereich fest- und fortschrieben. Ob und wie das künftig anders werden kann, klärt auch die Novellierung nicht. Die Freien Gruppen aber, die oft nicht hierarchisch und mit einem kreativen Eigenanteil aller Beteiligten überwiegend selbstständig arbeiten, haben nicht einmal das Minimalziel der Rechtssicherheit ihrer Arbeitsverhältnisse zugesichert bekommen, geschweige denn ist eine Veränderung der Förderpolitik, in mittelfristiger Sicht, die die Kostenwahrheit der Anträge, eine Bindung der Fördermittel an rechtskonforme Arbeitsverhältnisse bzw. Anstellungen auch in diesem Bereich möglich machen würde. Die FilmschauspielerInnen wurden vorläufig von vornherein kategorisch aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen. So unterschiedlich die Produktionsbedingungen auch sind, alle teilen die Unsicherheit, was bei einer Prüfung seitens der Gebietskrankenkasse passiert.

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5. Akt – Tragödienschluss oder offenes Ende?
Wir fordern
• Endlich Rechtssicherheit für alle Beschäftigungsverhältnisse im performativen Bereich!
• Grundlegendes Umdenken in der Förderpolitik: Förderungen müssen die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen erlauben!
• Einbeziehen der FilmschauspielerInnen in den Geltungsbereich des Gesetzes.

Darüber hinaus gibt es noch viel zu sagen bzw. zu fordern zum gesamten IMAG Prozess – zentral für Tanz, Theater und Performance:
• Eine signifikante Mittelerhöhung im Bereich der Mobilität ist notwendig, damit die eingesetzten Projektmittel im darstellenden Bereich nachhaltig genutzt werden können
• und damit die freie darstellende Kunst in Österreich endlich sichtbar wird.
• Fensterformate an den großen Häusern sollen die gläserne Decke durchbrechen.
• Mobilität muss möglich sein, auch für KünstlerInnen aus nicht EU-Staaten: wir fordern eine Rücknahme der rigiden Aufenthalts- und Niederlassungsbestimmungen für KünstlerInnen, ForscherInnen und für jeden Menschen.

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Materialien zur Presseaussendung der IGFT

Susanne Schelepa, Petra Wetzel, Gerhard Wohlfahrt unter Mitarbeit von Anna Mostetschnig: Zur sozialen Lage der Künstler und KünstlerInnen in Österreich. Studie im Auftrag des bm:ukk, Endbericht. Wien Oktober 2008, hier zitiert Abb. 34, S. 58. Unter: https://www.kunstkultur.bka.gv.at/site/cob__54363/currentpage__0/8051/default.aspx#a2

Schauspielergesetz, nach Jusonline

Sabine Kock: Prekäre Freiheiten. Arbeit im freien Theaterbereich in Österreich Zum Download: Prekaere_Freiheiten_IGFT

Weiterführende Artikel zum Thema

Sabine Kock: Die Katze beißt sich in den Schwanz. Zur Novellierung des Schauspielergesetzes und der Frage von Anstellungen und Selbstständigkeit, gift 02/10
www.freietheater.at/?page=serv…

Kulturrat Österreich: Stichwort: „Sozialversicherung unter einem Dach“. Zwischenbericht zu den
interministeriellen Verhandlungen, gift 02/10
www.freietheater.at/?page=serv…

Materialien Kulturrat Österreich

Kulturrat Österreich, Unterlagen zur Pressekonferenz am 22. Juni 2010
kulturrat.at/agenda/sozialerec…

Kulturrat Österreich: Forderungen ALVG
kulturrat.at/agenda/ams/infoAM…

IG Bildende Kunst: Forderungen Mobilität
www.igbildendekunst.at/politik…

Forderungen Bundesvernetzung Frauen in Kunst und Kultur
frauenkultur.at/

Broschüre Selbstständig | Unselbstständig | Erwerbslos
kulturrat.at/agenda/ams/infoAM…

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