Frühjahrsputz mit reaktionärer Schlagseite

Presseinformation IG Freie Theaterarbeit, 19. März 2014
In einem imaginären Burgtheater-Frühjahrsputz schlägt Barbara Petsch am 16. März 2014 in der Zeitschrift Die Presse unter dem Titel Aufräumen in der Burg: Wer kann helfen? Und wie? eine bunte Mischung möglicher Maßnahmen zur Rettung der Burg vor – über Fundraising-Ratschläge der Kulturmanager_innen Helga Rabl-Stadler und Klaus Schröder, 1-Euro-Crowdfunding von 18-Jährigen landet sie schließlich bei der Stadt Wien als erwünschtem Mit-Fördergeber des Burgtheaters: Ein paar Millionen seien da locker drin, zumal die Stadt Wien „ein paar Off-Theater schließen“ könne, sie leiste „Avantgardeförderung“ in „stattliche(r)“ Höhe von 25 Millionen Euro im Jahr, so Barbara Petsch. Diese besondere Burgtheater-Geldumschichtungs-Idee von Frau Petsch ruft in der Szene und darüber hinaus scharfe Proteste hervor und wird besorgt mit der aktuellen ungarischen Kulturpolitik des Orbán-Regimes konnotiert.

Abgesehen von gesellschaftspolitischen Bedenken – die unterdotierte Off-Szene und die Künstler_innen, nicht nur im darstellenden Bereich, sind für die künstlerische Entwicklung des Sektors und die gesellschaftspolitische Entwicklung Österreichs existenziell – ist diese Idee auch ökonomisch kontraproduktiv. Die Wiener Off-Szene bringt ein sehr unterschiedliches Publikum von über einer Million Menschen mit darstellender Kunst in unterschiedlichsten Formen (siehe NPO-Studie) in Berührung. Das leisten insgesamt ca. 230 Institutionen, davon 48 Off-Bühnen, viele freie Tanz-/Theater-/Performance-Gruppen bis hin zum ImPulsTanz-Festival. Nur vier Off-Bühnen erhalten Förderungen über 1 Million Euro, die meisten liegen weit unter dieser Summe. Jahresförderungen von Off-Theatern betragen zum Teil weit weniger als eine Hartmann-Burg-Regiegage von 52.500 Euro, so wie auch die meisten Budgets von freien Gruppen für eine ganze Produktion finanziell im Durchschnitt allenfalls die Hälfte einer einzigen Hartmann-Regie-Gage betragen. Einige produzieren völlig ohne öffentliche Förderung. Die Förderung der Burg beträgt knapp unter 50 Millionen Euro im Jahr.
Soviel zu den Verhältnissen und zur Verhältnismäßigkeit. Einen engagierten Artikel für professionelle Arbeitsbedingungen im freien Theaterbereich würden wir gern von Frau Petsch lesen!

Viel zu lang wurden Budgetdiskussionen zu sehr auf dem Rücken freier zeitgenössischer Künstler_innen aller Bereiche ausgetragen, auf Kosten von notwendigen Subventionserhöhungen für Großinstitutionen oder weniger notwendigen bis entbehrlichen Subventionserhöhungen von kulturellen Großevents und Repräsentationsveranstaltungen. Frau Petsch sollten die dramatischen Ergebnisse der Studie Zur sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern in Österreich (bm:ukk 2008) bekannt sein: Ein Drittel der österreichischen Künstler_innen waren im Jahr 2008 armutsgefährdet. Seither hat sich die Situation verschärft.

Das hochdotierte Burgtheater auf Kosten der massiv unterdotierten freien Szene retten zu wollen, ist nicht nur kontraproduktiv und zynisch, es ist politisch im Wortsinn reaktionär – wir distanzieren uns von einem derartig kurzschlüssigen und rückwärtsgewandten Theaterbegriff in aller Schärfe!

Das Burgtheater ist wichtig für Österreich, ebenso wichtig ist die freie Szene. Umgekehrt braucht es endlich auch im freien Theaterbereich Förderbedingungen, die professionelles Arbeiten und die Einhaltung sozial- und arbeitsrechtlicher Rahmenbestimmungen ermöglichen. Die großen Institutionen sind ihrerseits aufgefordert, sich neuen Zusammenarbeitsformen mit der freien Szene zu öffnen.

Die Krise des Burgtheaters ist ein Anlassfall, Theater in Österreich grundsätzlich neu zu bedenken.

Presseinformation IG Freie Theaterarbeit, 19. März 2014

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Quellenverweis: Studie des NPO-Instituts, 2012: www.wu.ac.at/npo/competence/re…

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