Kulturpolitik zur Wahl: „Harmonie wird überbewertet“

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(Pressemitteilung vom 13.9.2019) Zum Podiumsgespräch anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahl: In der letzten, sehr konkreten Fragerunde fielen die Antworten mit Blick auf die bisherige Politik teils durchaus überraschend aus. Eine Übersicht

Am vergangenen Montagabend lud der Kulturrat Österreich anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahl zu einem Podiumsgespräch über die zu erwartende Kunst- und Kulturpolitik ins Wiener Depot. Airan Berg (JETZT), Eva Blimlinger (Grüne), Henrike Brandstötter (Neos), Thomas Drozda (SPÖ) und Maria Großbauer (ÖVP) stellten ihre kulturpolitischen Perspektiven vor und antworteten auf unsere Fragen zu drängenden Problemen in Kunst, Kultur und Medien. In der letzten, sehr konkreten Fragerunde fielen die Antworten mit Blick auf die bisherige Politik teils durchaus überraschend aus:

Eigenständiges Kunstministerium?

Ein eigenständiges Kunstministerium hat nicht nur symbolische Aussagekraft, sondern im Hinblick auf Politikwertigkeit, Budgetbeteiligung und zeitliche Kapazitäten des/der Minister_in auch beträchtliche praktische Relevanz.
Mit Ausnahme von Eva Blimlinger (Grüne) kündigten alle Anwesenden ihr persönliches Engagement für ein eigenständiges Kunstministerium an.

Jährliche Valorisierung der Kunstförderungen?

Seit Jahrzehnten ein Problem: der permanente inflationsbedingte Wertverlust von Förderungen. Während es schon große Häuser nicht leicht haben, die Ansprüche ihrer Mitarbeiter_innen auf Lohnerhöhungen zu erfüllen, ist die freie Szene vollends in der Klemme: Jede noch so kleine Erhöhung muss beim Subventionsgeber erstritten und erbettelt werden, regelmäßige Lohnerhöhungen gehen sich da einfach nicht aus, Selbstausbeutung statt Lohnerhöhung ist meist die frustrierende Devise.
Hier kündigen Airan Berg, Henrike Brandstötter und Thomas Drozda ihre praktische Unterstützung an, während Eva Blimlinger (die jedenfalls bei den kleinen Förderungen damit beginnen möchte) und Maria Großbauer (die den Konflikt zwischen großen Häusern und der freien Szene beklagt) ohne konkrete Zusage bleiben, dem Anliegen aber auch nicht ablehnend gegenüberstehen.

Urheber_innenvertragsrecht (UVR)?

Die für Künstler_innen wichtige Frage des Urheber_innenrechts ist, wie sich leider herausgestellt hat, nach wie vor ein Politikspezialgebiet, das sich nicht allen erschließt. Ziel eines Urheber_innenvertragsrechts sind vertragsrechtliche Regeln, um Urheber_innen in ihrer schwächeren Verhandlungsposition gegenüber ihren Verwerter_innen (Verlage, Labels, Filmfirmen, …) zu stärken. Ähnlich dem Mietrecht sollen bestimmte Vertragsklauseln automatisch Geltung haben, andere dagegen gesetzlich ausgeschlossen werden. Grundsätzlich soll dadurch ein fairer Anteil an den Einnahmen aus künstlerischen Werken für die Urheber_innen sichergestellt werden.
Alle anwesenden Politiker_innen signalisieren ihre Unterstützung dafür.

Fair Pay?

Jahrzehntelange budgetäre Engpässe und die fehlende Valorisierung der Förderungen haben eine massive Unterfinanzierung des Kunst- und Kulturbereichs zur Folge und sind mitverantwortlich dafür, dass faire Honorare und Einkommen kaum zu bezahlen sind. Die Einhaltung einschlägiger arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Gesetze bleibt derzeit vielfach eine unerfüllbare Wunschvorstellung. Daher unsere Frage: Sind Sie bereit, sich für Fair Pay mittels Budgeterhöhung – bei einer zumindest gleichbleibenden Förderquote wie bisher – einzusetzen?
Erfreulicherweise unterstützen dies alle auf dem Podium, mit Ausnahme von Maria Großbauer (ÖVP), die aber immerhin keine kategorische Ablehnung signalisiert.

Ausweitung im KSVF?

Stellvertretend für die vielen Forderungen an das Künstler_innen-Sozialversicherungsfondsgesetz (K-SVFG) haben wir eine der ältesten und dringendsten herausgegriffen: die notwendige Erweiterung des Bezieher_innenkreises. Grundlage für den Zuschuss muss die Arbeitssituation sein, nicht eine enge Definition dessen, wer Künstler_in ist.
Auch hier zeigt sich eine erfreuliche Unterstützung: Airan Berg, Eva Blimlinger, Henrike Brandstötter und Thomas Drozda stehen hinter diesem Anliegen. Maria Großbauer bleibt unentschlossen.

Gesprächsbereitschaft mit Interessenvertretungen?

Eine demokratische Selbstverständlichkeit, jedenfalls wenn es nach den Antworten am Podium geht: Bei keiner Frage wurde die Unterstützung schneller und so einhellig präsentiert. Umdenken auch in der ÖVP? Das wäre sehr zu wünschen, denn der Kunstminister der letzten gewählten Regierung, Gernot Blümel, hat trotz vielfacher Anfragen keine Zeit für ein Arbeitsgespräch mit dem Kulturrat Österreich gefunden.

Die durchaus kontrovers geführte Diskussion endete in dieser letzten Runde mit einem überraschend harmonischen Stimmungsbild auf dem Podium, das in der anschließenden Öffnung zum Publikum auch wieder in Frage gestellt wurde. Wir werden die politische Praxis, die diesen Ankündigungen folgen wird, jedenfalls sehr genau beobachten.

Damit sich alle selbst ein Bild machen können, wurde die Veranstaltung dokumentiert:

  • Audio (mit Dank an Gerhard Kettler, Radio Orange und IG Kultur Wien)
  • Video (mit Dank an Patrik Kwasi, IG Kultur Österreich)
  • Fotocredits: Carolina Frank

Materialien:
Antworten der Parteien auf unsere Fragen zur Wahl im Vorfeld der Veranstaltung

Disclaimer: Warum waren nur fünf Parteien am Podium vertreten, wenn doch acht österreichweit zur Wahl antreten? Die KPÖ hat sich zu spät zurückgemeldet, beim Wandel wurden wir schlicht von der bundesweiten Kandidatur überrascht. Zusammen mit der Tatsache, dass das Podium für eine Diskussion ohnedies schon groß war, haben wir entschieden, nicht noch einmal aufzumachen. Die FPÖ haben wir nicht gefragt, weil wir einer rechtsextremen Partei kein Podium bieten wollen.

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